Lebhaftes Interesse fanden die fünf Fortbildungen zur gedenkstättenpädagogischen Arbeit an Lernorten der NS-Geschichte, die das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk gGmbH in Dortmund zusammen mit Partnerorganisationen im Herbst 2019 angeboten hatte. Die Reihe wird – sobald die Bedingungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie es zulassen – mit drei Fortbildungen zu den Erinnerungsorten Mauthausen (Österreich), Babij Jar (Ukraine) und Vilnius (Litauen) und zwei Fortbildungen speziell für (angehende) Teamerinnen und Teamer fortgesetzt. Interessierte können sich ab sofort unverbindlich vormerken lassen.
Vom Durchgangslager Westerbork nach Amsterdam
Vom 13. bis 19. Oktober 2019 informierte sich eine Gruppe von Lehrkräften und Mitarbeitenden in Jugendeinrichtungen über das frühere NS-Durchgangslager Westerbork in den Niederlanden. Die Teilnehmenden lernten den Gedenkort und die heute verfügbaren didaktischen Angebote kennen. Außerdem besuchten sie das Widerstandsmuseum, das Anne-Franck-Haus und die portugiesische Synagoge in Amsterdam. Das Programm der Studienfahrt spannte somit einen Bogen vom jüdischen Leben in den Niederlanden vor der deutschen Besatzung, über die Besatzungszeit und den Widerstand in den Niederlanden bis zum aktuellen Stand der historischen Forschung zur Kollaboration. Einerseits waren rund 28.000 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger versteckt und teilweise gerettet worden. Andererseits berichtete Dr. Eva Lettermann in ihrem Input-Vortrag aber auch über den Forschungsstand zum Täterhandeln in den Niederlanden während der Besatzungszeit. Ein für die Teilnehmenden hoch interessanter Programmpunkt der Studienfahrt war die Begegnung mit niederländischen Akteuren der Erinnerungskultur im Deutschland-Institut. Eine Teilnehmerin, deren Angehörige über Westerbork deportiert worden waren, bereicherte die fachlichen Informationen zudem durch persönliche Erinnerungen. Fazit nach sechs intensiven Seminartagen: „Der Erinnerungsort Westerbork bietet sich allein und in Kombination mit Amsterdam und auch durch interessante Radtouren über einen Radweg der Erinnerung für entdeckendes Lernen an“, resümierte Peter Junge-Wentrup, Beauftragter für Gedenkstättenfahrten beim IBB Dortmund (IBB gGmbH).Mehrere Gebäude des früheren jüdischen Ghetthos…… sind noch heute im Stadtbild erhalten.
Riga als Tatort der Shoah
Riga als Tatort und Gedenkort der Shoah lernten Lehrkräfte und Akteure der Erinnerungsarbeit vom 20. bis 27. Oktober 2019 kennen: Das Programm der Fortbildung streifte viele Kapitel der traditionsreichen Stadtgeschichte und regte zu einem anregenden Meinungsaustausch an. Die Reisegruppe ging – „versorgt“ mit Hintergrundinformationen und Fotos – selbst auf eine Spurensuche und erkannte im Stadtbild mehrere bis heute erhaltene Gebäude und Orte der NS-Zeit wieder – unter anderem Häuser des früheren jüdischen Ghettos. Eine Führung durch das Lettische Okkupationsmuseum lenkte den Blick auf die lettische Perspektive auf die NS-Geschichte. Mehrere Gedenkorte erinnern heute an das Konzentrationslager Kaiserwald, das Lager Jungfernhof und das „Arbeitserziehungslager“ Salaspils und bieten sich heute als Zielorte für Gedenkstättenfahrten mit Jugendlichen an. Informationstafeln und eine gerade neu gestaltete Ausstellung regen zur weiteren Vertiefung an. Im Wald von Bikernieki und Rumbola konnte die Reisegruppe nachvollziehen, wie die Massengräber entdeckt worden waren und wie heute das Riga-Komitee die Erinnerung wachhält und eine internationale Zusammenarbeit ermöglicht. „Durch die Arbeit des Riga-Komitees und durch einige für die Nachwelt gesicherte Biografien gibt es in der Stadt Riga und in der Umgebung sehr wichtige historische Orte und Dokumente, die zu einem forschenden Lernen einladen“, sagte Olga Rensch-Wetzel, Leiterin der Zentralstelle für Gedenkstättenfahrten, die diese Studienreise geleitet hatte. In Riga sei allerdings auch deutlich geworden, dass Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung auch heute weiter eine Rolle spielen. Eine Teilnehmerin aus Frankreich bereicherte die Diskussionen durch ihre Kenntnisse aktueller didaktischer Ansätze aus Frankreich. Für den Erinnerungsort Riga bereitet die IBB gGmbH eine Handreichung für Lehrkräfte und Akteure der Erinnerungsarbeit vor.
Wie Jugendliche die Gedenkstätte Auschwitz erkunden können
19 Teilnehmende aus Nordrhein-Westfalen, Bremen, Brandenburg, Saarland, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, aber auch Baden-Württemberg und Bayern lernten vom 2. bis 9. November 2019 den Lernort Auschwitz und seine Umgebung kennen:
Die pädagogischen Angebote vor Ort wurden dabei in den Kontext einer mehrtägigen Gedenkstättenfahrt gesetzt, in der einzelne Programmteile aufeinander aufbauen. Die Gruppe lernte den Ort Oświęcim auf jüdischen Spuren mithilfe eines Freiwilligen von ASF im jüdischen Zentrum kennen und erhielt eine Einführung in die Topographie von Auschwitz durch Bartholomäus Fujak vom IBB e.V. Neben den pädagogischen Möglichkeiten an der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau wurden auch die pädagogischen Angebote der Internationalen Jugendbegegnungsstätte und des Zentrums für Dialog und Gebet vorgestellt. In einem Workshop vermittelte Agata Grzenia vom IBB e.V. Anregungen zu Methoden in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Gedenkstättenfahrten mit Jugendlichen.
Die Gruppe konnte so ihre direkten Erfahrungen in der Umsetzung mit Jugendlichen reflektieren und einige Methoden – wie die des entdeckenden Lernens – selbst ausprobieren. Besonders inspirierend fand die Gruppe den Impuls durch Pfarrer Manfred Deselaers zu verschiedenen Besucherperspektiven und den Vortrag über polnische Erinnerungskulturen von Prof. Dr. Marek Wilczynski von der Pädagogischen Universität Krakau, sowie die Ausstellung „Erinnerungsklischees“ im Maximilian Kolbe Zentrum in Harmeze, berichtete Emilia Simon von der IBB gGmbH, die die Fahrt organisatorisch leitete. Einen schönen Ausklang fand die Fortbildung bei einem Abendessen nach jüdischen Rezepten mit Klezmer-Konzert in Krakau.
Zwei weitere Fortbildungen – federführend organisiert vom Bildungswerk der Humanistischen Union NRW e.V. – führten in den Raum Lublin und nach Terezin.
Die Quellensicherung in Lublin
„Orte und Zeugnisse nationalsozialistischer Verbrechen im Raum Lublin“ waren das Thema der Studienfahrt vom 13. bis 19. Oktober 2019 nach Warschau und Ostpolen: 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Baden-Württemberg, Bayer, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen verschafften sich einen Überblick über die didaktischen Angebote an den „Kern“-Tatorten des Holocaust rund um Lublin. Die Kleinstadt – vor 1939 als das jüdische Oxford bezeichnet – war unter deutscher Besatzung das logistische Zentrum der Massenvernichtungsmaschinerie. Bei einem Besuch des Teatr NN lernte die Reisegruppe einen zivilgesellschaftlichen Akteur kennen, der „in einer einzigartigen Mischung von Kunstaktion und Quellensicherung“ an die jüdische Geschichte der Stadt erinnert, berichtet das Bildungswerk der Humanistischen Union. Das staatliche Museum Majdanek mit seinen zwei bedeutenden Außenstellen, den Vernichtungslagern Bełżec und Sobibór, war Mitveranstalter der Fortbildung und präsentierte die Gedenkanlagen und didaktischen Materialien, die für ein selbstständiges, forschendes Lernen zur Verfügung stehen. Weitere Exkursionen führten nach Izbica, Zamość und Włodawa. Besuche des Widerstandsmuseums und des POLIN-Museums in Warschau rundeten die Fortbildung ab. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer – unter ihnen Lehrkräfte, Mitarbeitende in Jugendbildungsstätten, Gedenkstätten, Geschichtswerkstätten und Geschichtsinitiativen – zeigten ein großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit polnischen Gedenkstätten und Museen, die sich der NS-Geschichte widmen, und entwickelten erste Projekt- und Kooperationsideen.
In die damals so genannte „Stadt der SS“, nach Prag, und zum damaligen Ghetto Theresienstadt führte eine weitere Fortbildung vom 17. bis 23. November 2019. Vorbereitet vom Bildungswerk der Humanistischen Union in Kooperation mit dem Erinnerungsort Alter Schlachthof Düsseldorf und Zeitreisen e.V., ging es auch hier um die Frage, inwieweit Theresienstadt und Prag für die historisch-politische Bildungsarbeit mit Jugendlichen geeignet sind. Das Programm für die 21 Teilnehmenden begann mit der Besichtigung verschiedener historischer Orte in Prag, wo Reinhard Heydrich während der deutschen Besatzungszeit ein grausames Regiment führte. Im Mittelpunkt der Fortbildung stand dann jedoch die heutige Gedenkstätte Theresienstadt, etwa 60 Kilometer nördlich von Prag gelegen. Die „kleine Festung“, damals Polizei- und Gestapogefängnis, und das Ghettomuseum erinnern an die Jüdinnen und Juden aus Tschechien und vielen weiteren Ländern, die inhaftiert, auf engstem Raum zusammengepfercht und später in Arbeits- oder Vernichtungslager deportiert wurden. Zahlreiche biografische Materialien ermöglichen eine aktive Spurensuche. „In fünf Workshops näherten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer anhand von biographischen und historischen Quellen einigen dieser Lebensgeschichten an“, berichtet Dr. Joachim Schröder vom Erinnerungsort Alter Schlachthof. Dabei stießen sie auch auf Verbindungen ins Rheinland. „Die Shoah fand nicht nur im fernen „Osten“ statt“, so ein wichtiges Resümee der Studienreise. „Sie begann hier vor unserer Haustür, in Düsseldorf, in Viersen, Oberhausen, Mönchengladbach oder Weeze.“
Alle fünf Fortbildungen wurden gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.
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