“Was sind die Grenzen inklusiver Erinnerungskultur?”: Inklusive Erinnerungskultur benötigt mehr Geld und mehr Austausch
Die vorerst letzte Online-Diskussion im Projekt „Erinnern–inklusiv“ am Freitag, 15. Dezember 2023 führte mitten ins Zentrum des Problems: „Was sind die Grenzen inklusiver Erinnerungskultur?“ Und sie förderte Lösungsansätze zutage: Eine größere Offenheit für Menschen mit Behinderungen auf Seiten der Gedenkorte, mehr Dialog und eine engere Vernetzung zwischen den Erinnerungsorten könnten Lernorte der Geschichte für alle zugänglicher machen. „Wenn wir über Geschichte reden, berührt dies auch die Frage, wie wir heute miteinander leben möchten“, sagte eine Teilnehmerin und fragte:
„Mit welchem Selbstverständnis gehen wir also an die Frage der Inklusion?“
Denn der Ruf nach Inklusion in Gedenkstätten für die Opfer der NS-Zeit trifft fast immer auf die gleichen Abwehrargumente: Nicht bezahlbar. Baulich nicht machbar. Nicht zumutbar für Menschen mit Behinderungen.
„Dabei sind sich alle einig, dass Inklusion allen nutzt und dass sich auch Erinnerungsorte öffnen können und müssen, nicht zuletzt auch, um der UN-Behindertenrechtskonvention gerecht zu werden“, zog IBB-Referentin Constanze Stoll ein Resümee der Diskussionen und Workshops. „Doch es gibt immer wieder den Hinweis auf Grenzen.“
Im Gespräch mit dem blinden Lehrer Grischa Kostkiewicz, dem Koordinator für Inklusion im Museum Stutthof, Andrzej Puszcewicz, und der inklusionserfahrenen Historikerin Clara Mansfeld ging es um Grenzen und Ideen, sie zu überwinden. Die rund 40 Teilnehmenden aus Polen und Deutschland berichteten über unterschiedliche Erfahrungen und plädierten insbesondere für mehr Mut beim Ausprobieren und Scheitern.
„Unsere Angebote in Stutthof sind wenig inklusiv“, gestand Andrzej Puszcewicz vom Museum Stutthof. „Als gesunde Person konnte ich früher gar nicht verstehen, was fehlt“, sagte der Mitarbeiter des Museums, der selbst gehbehindert ist. Auch Grischa Kostkiewicz berichtete über seine persönlichen Erfahrungen mit Barrieren. In den 1990er Jahren hatte er als Schüler Auschwitz besucht und die Berge von Koffern, Schuhen und Haaren gesehen. „Diese Bilder haben sich mir eingebrannt“, schilderte er. Bei einem späteren zweiten Besuch in Auschwitz, bereits erblindet, habe er dagegen kaum Unterstützung gefunden und den Symbolort für den Holocaust völlig anders erfahren. Für die Online-Diskussion im Projekt „Erinnern-inklusiv“ hatte er zum Gedenkort Hadamar in Hessen recherchiert. Sein Fazit: „Es ist gar nicht einfach, an Informationen zu kommen.“ Für Blinde gebe es zwar einen Katalog in Braille-Schrift – doch nicht jeder Blinde könne diese Schrift entziffern. Audio-Guides seien offenbar kein Thema. „Es gibt offenbar zu wenig Kooperation zwischen den Institutionen“, beklagte er.
„Mir fallen Barrieren oft gar nicht auf“,
gestand die inklusionserfahrene Historikerin Clara Mansfeld. Deshalb seien solche Hinweise auf fehlende Angebote von großer Bedeutung. So tauche zum Beispiel bei unterstützenden Apps immer wieder die Frage auf: Wer hat Zugang zu mobilen Endgeräten? Und wie selbsterklärend ist die Benutzerführung für die jeweilige Zielgruppe? Sie plädierte für eine Willkommenskultur, die einlädt zum Dialog nach dem Motto: „Ihr seid alle willkommen!“
Die Rückmeldung von Betroffenen sei auch wichtig, um aus Fehlern zu lernen und die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden. Wenn Menschen mit Behinderungen von vornherein als Expertinnen und Experten in eigener Sache eingebunden werden in die Konzeption von Angeboten oder Ausstellungen, so das Fazit, müssten Fehler nicht später mit zusätzlichem Kostenaufwand korrigiert werden.
Apropos Kosten: Zusätzliche Angebote seien auch mit Kosten verbunden. Hier fehle es häufig an Geld. Entsprechend der Förderlogik gebe es zuweilen interessante Projekte, deren Ergebnisse aber im Keller verstauben, weil sie nicht nachhaltig gesichert werden können.
Andiskutiert wurde auch die Frage, wie die Querschnittsaufgabe Inklusion im jeweiligen Team verankert werden kann: Ob über eine Beauftragte oder einen Beauftragten oder über einen Beirat, über Mitarbeitende aus den jeweiligen Zielgruppen oder als allgemein formulierter Auftrag „von oben“. Die Mammutaufgabe Inklusion könne ein Team ziemlich ratlos zurücklassen, berichtete ein Gedenkstätten-Mitarbeiter, zumal wenn es (noch) wenig Kontakt zu den verschiedenen Zielgruppen gibt.
„Wenn die Gesellschaft mehrheitlich behindert wäre, sähe unsere Welt vermutlich anders aus“,
sagte Constanze Stoll. Die Diskussionen und Workshops der vergangenen Wochen hätten allerdings eines sehr deutlich gezeigt: „Wenn man einfach mit der Unterstützung von Übersetzerinnen und Übersetzern in den Dialog einsteigt, passiert ganz viel und alle lernen viel aus diesen Begegnungen.“
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